Material-Ernte im Umbau

Material-Ernte im Umbau: Zwischen Utopie und Baupraxis

Über die Herausforderungen und Chancen der Kreislaufwirtschaft am Beispiel von Gipskarton und Mineralwolle

Material-Ernte ist noch kein so bekannter Begriff. Nachhaltigkeit hingegen ist ein Themenfeld, dass uns alle im Privat- wie im Arbeitskontext immer wieder begegnet. Es ist unumgänglich, unfassbar wichtig und so allumfassend, dass es kaum zu greifen ist. Auch die Office Group Planen & Bauen beschäftigt sich schon seit Jahren damit. Wir hinterfragen Ausführungsprozesse immer eigenverantwortlich, um diese im Sinne der Nachhaltigkeit zu optimieren. Mit dem Blick auf eine unserer Kernaufgaben – den Umbau bestehender Bürostrukturen – möchten wir den Fokus in diesem Beitrag auf einen zentralen Angriffspunkt der Nachhaltigkeit legen, die Kreislaufwirtschaft mit der Material-Ernte im Mieterausbau.

Stell dir vor, dein Unternehmen zieht in eine neue Fläche in einem bestehenden Gebäude. Vermutlich plant ihr einen modernen, offenen oder halboffenen Grundriss. Die Strukturen sind mehr über die Zonierung und Anordnung von Bereichen definiert als durch die Erschaffung neuer, geschlossener Raumstrukturen. Da liegt viel Gedankengold in den Entwürfen und die Vorfreude auf die Fertigstellung ist groß.

Klassisch startet nun vor der Umsetzung der Pläne der Abriss an. Stopp! Was wäre, wenn wir die Einbauten der Bestandsimmobilie nicht als Abfall, sondern als Ressourcen-Depot für die Material-Ernte betrachten ?  Genau diese Frage stand bei uns im Team des Standorts Düsseldorf im Raum, als wir begonnen haben, mit den Kollegen von Ahrend einen neuen gemeinsamen Standort und Showroom in Düsseldorf zu planen.

Jedes Material und jeder Bearbeitungsschritt werden im Team diskutiert und nicht selten wird kurz vor Ausführung der ursprüngliche Plan noch einmal über den Haufen geworfen. Im Foto von links nach rechts Felix Kröncke (Ahrend), Jennifer Aust (Office Group), Sven Urselmann (Urselmann Interior), Ingrid Groeneweg (Ahrend) und Verena Hassels (Ahrend)1

Unsere Vision: Kreislaufwirtschaft mit Material-Ernte im Umbau

Bei uns in Düsseldorf geben wir Materialien eine zweite Chance! Wir, ein Team von Architekten und Objekteinrichtern, verwandeln unser neu geplantes Showroom-Offices in einen lebendigen Kreislauf. Nachhaltigkeit ist unser Herzstück. Wir wollen zeigen, dass Bauen anders geht: Kein Müllberg, sondern ein Materialkreislauf. Unsere Vision ist klar: Jede Platte, jede Faser soll (soweit möglich) wieder zum Einsatz kommen.

Das Versprechen der Material-Ernte: Warum es sich lohnen könnte

Die Kreislaufwirtschaft fordert uns heraus, Gebäude nicht als Endprodukte, sondern als Rohstoff-Lager zu begreifen. Bei der Material-Ernte geht es darum, dieses im Bestand verbaute Material nach dem Rückbau zu sammeln, aufzubereiten und erneut einzusetzen. Für Gipskarton und Mineralwolle, zwei der häufigsten Materialien im Innenausbau, ist das ein Gamechanger:

Kosteneinsparung: Wenn die Logistik stimmt, könnten wiederverwendete Platten günstiger sein als Neumaterial.

Ressourcenschonung: Beide Materialien sind energieintensiv in der Herstellung.

Abfallreduktion: Über 50 % des Bauschutts in Deutschland stammt aus dem Innenausbau.

Die Bestandswände aus unserem Projekt in Düsseldorf, sie lassen sich in der unteren Bilderserie wiederfinden.

Die Hürden: Warum Gipskarton und Mineralwolle (noch) keine “Kreislaufstars” sind

Regeln, Normen und Zertifikate erschweren zum Teil den Wiedereinsatz von Ressourcen

Trotz der Bereitschaft einen erhöhten Zeitaufwand für das „Ernten“ in Kauf zu nehmen bleibt, ein ernüchternd großer Müllberg aus Restmaterial, Unterkonstruktion und Mineralwolle. Auch kann eine Wand leider nicht zu 100% aus Reuse-Material gebaut werden. Die oberste Schicht ist immer neues Material. Das Einsatzgebiet ist begrenzt, für Decken eignet sich das Wiederverwendete Material zum Beispiel nicht

Wir wollen die Kreislaufwirtschaft nicht rosarot malen, sondern ehrlich aus dem Nähkästchen plaudern. Das erdachte Prinzip der Material-Ernte ist ein richtiger und wichtiger Schritt. Es hilft rund 50% der Gipskartonplatten des Wandaufbaus mit Reuse-Material auszuführen. Im besten Fall wurde dieses auch noch vor Ort geerntet, wodurch sich Transportwege sparen lassen. 

Das ist gut, doch ginge es nicht noch besser? Generell muss man sich die Frage stellen, ob Gipskarton heute noch das richtige Material ist oder ob man für Trennwände nicht schon nachhaltigere Materialen zum Einsatz bringen kann.

Durch die Material-Ernte bei unserem aktuellen Projekt in Düsseldorf ist uns außerdem aufgefallen, dass große Mengen an Mineralwolle doch ihren Weg auf die Deponie gefunden haben. „Die Wiederverwendung ist zu riskant“, ist die Antwort von den ausführenden Stellen. Es möchte niemand die Verantwortung übernehmen bzw. seine Mitarbeiter der Gefahr aussetzen, dass die Platten doch irgendwann mit Schadstoffen in Berührung gekommen sind.

Auch bei der Arbeit mit Neumaterial wird den Handwerkern Mundschutz, lange Kleidung und gutes Lüften bei der Verarbeitung empfohlen. Ist das also nur eine Ausrede?

Auch das ist Teil der Wahrheit: Etliche Regeln, Normen und Zertifikate erschweren und verhindern zum Teil den Wiedereinsatz von Ressourcen.

 

  • Rechtliche Grauzonen und Normen: Gipskartonplatten werden nach ihrer Demontage oft als Sondermüll eingestuft – nicht ohne Grund. Sie sind häufig verunreinigt: durch Kleber, Farben, Schimmel oder Brandschutzmittel. Die Bauproduktenverordnung (BauPVO) und die europäischen Normen (z.B. DIN EN 520) fordern für neu verbaute Materialien klare Leistungswerte – etwa zum Feuerwiderstand oder Schallschutz. Wer garantiert, dass eine gebrauchte Platte diese Werte noch erfüllt? Niemand. Und damit beginnt das juristische Risiko. Bei Dämmwolle sieht es ähnlich aus: Das Material altert, fasert aus, und die gesundheitsschädliche Feinstaubproblematik bleibt auch bei gebrauchter Wolle bestehen. Die Gefahrstoffverordnung (GefStoffV) und Arbeitsschutzvorgaben machen die Demontage ohne professionelle Absaugung und Schutzausrüstung zum Albtraum.
  • Zertifizierungen blockieren Innovation: Nachhaltigkeitszertifikate wie LEED oder DGNB belohnen zwar Recycling, aber nicht die Wiederverwendung. Warum? Weil die Berechnungsmethoden linear funktionieren: „Recyclingquote“ zählt, „Wiederverwendungs-Quote” nicht. Für Bauherren, die auf Zertifikate angewiesen sind, lohnt sich der Aufwand kaum.
  • Wirtschaftlichkeit: Die Rechnung geht (noch) nicht auf: Die Material-Ernte von Gipskarton erfordert einen schonenden Rückbau – also Handarbeit statt Abrissbirne. Doch wer bezahlt die höheren Personalkosten? Und wer lagert die Platten zwischen, bis ein neues Projekt sie nutzen kann? Die Logistik ist komplex, und solange Neumaterial billig und die Entsorgungskosten niedrig sind, fehlt der Anreiz.

Lösungsansätze: Wie wir die Material-Ernte trotzdem vorantreiben können

Viele Gründe, welche die Euphorie bremsen können, habe ich hier jetzt aufgeführt. Aber unser gemeinsames Team von Office Group Planen & Bauen und Ahrend blickt mutig nach vorn. Aus unserer Baustelle wird jetzt schon bald unser neues Büro und der Showroom. Die Erfahrungen, die wir bei Planung, Umsetzung und Material-Ernte gemacht haben, bringen uns weiter und sind ein guter Nährboden für die künftigen Projekte. Hier drei pragmatische Schritte, die wir sehen:

 

  • Design for Disassembly: Bereits in der Planung müssen wir künftig Materialen und Bauweisen für Trennwände wählen, die demontierbar und wiederverwendbar sind – Gipskartonplatten wurden nie für den zirkulären Einsatz und die spätere Material-Ernte entwickelt. 
  • Branchenkooperationen: Sammelstellen für gebrauchte Materialien können Skaleneffekte schaffen. Pilotprojekte mit mutigen Bauherren sind nötig.
  • Politik als Enabler: Wo man unsere Stimme hört, fordern wir Entscheidungsträger heraus, politische Anreize und Förderprogramme zu bieten, welche die Kreislaufwirtschaft wirtschaftlich attraktiver machen. Auch die Gesetzgebung muss nachziehen. Eine Klassifizierung von „gebrauchten“ Bauprodukten mit klaren Prüfkriterien würde Planungssicherheit schaffen.

Unser Fazit: Kreislaufwirtschaft braucht Realismus statt Romantik

Material-Ernte im Trockenbau ist kein Selbstläufer, sondern ein langfristiges Experiment. Als Architekten tragen wir Verantwortung, nicht nur für die Umwelt, sondern auch für die Sicherheit und Wirtschaftlichkeit unserer Projekte. Ich bin überzeugt, dass sich die Wiederverwendung von Materialien durchsetzen wird – aber erst, wenn Industrie, Politik und Normung an einem Strang ziehen.

Zum Glück gibt es als Impulsgeber schon jetzt Netzwerke und einige Pioniere aus unterschiedlichsten Branchen, die den Druck aufrechterhalten und auf Veränderung pochen. So auch wir!  Gern geben wir bei der Eröffnung unseres Standorts und Showrooms in Düsseldorf im Mai persönlichen Gespräch noch mehr Einblick, was wir hier erlebt haben. Herzliche Einladung dabei zu sein. Eine kurze Mail an mich reicht und ich setze euch auf die Gästeliste.

Jennifer Aust
M.A. Innenarchitektur
j.aust@office-group.immobilien